Mittwoch, 30. September 2009

Viñales: Im Tal der Dinosaurier



„Kopfschmerzen haben wir hier jeden Tag. Das ist ganz normal“, erklärt mir lächelnd ein Führer des Stadtmuseums von Viñales. Ich verbringe gerade ein paar Tage in der Region Pinar del Río, im Südwesten Kubas, um die bizarre Landschaft kennen zu lernen und mich einigermaßen an Klima, Land und Leute zu gewöhnen. Dazu zählen also auch die ständigen Kopfschmerzen unter der karibischen Sonne. Hätte ich doch bloß eine Packung Schmerztabletten mitgebracht.

Da auf Kuba Medikamentenmangel herrscht, kann ich mir zumindest bei diesem Thema ein authentisches Bild vom Alltagsleben in diesem Land machen. Dies gelingt mir normalerweise nicht immer. Bis jetzt erscheint die Karibikinsel wie eine schöne Kulisse. Beim Spaziergang durch die Altstadt von Havanna dominiert der Glanz der vergangenen Jahrhunderte. Und hier in Viñales kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass vor knapp einem Jahr ein Hurrikan die Region verwüstet hat. Die meist sympathisch aussehenden Kubaner erwecken bei uns Touristen zunächst den Eindruck, dass es sich im kreolischen Sozialismus ganz gut leben lässt.

Viñales liegt im gleichnamigen Tal und ist ein beliebter Ausgangspunkt für Wanderungen und Ausflüge. Das Gebiet mit der fruchtbaren rostroten Erde wird neben dem Tourismus vor allem landwirtschaftlich genutzt. Hier wächst nicht nur der beste Tabak, sondern jede Menge Obst und Gemüse. Das eigentlich Faszinierende ist jedoch die surrealistisch anmutende Landschaft mit den so genannten Mogotes. Beim Anblick dieser höckerförmigen Berge bekomme ich das Gefühl, mich in einer ganz anderen Epoche zu befinden. Das Viñales-Tal wäre der ideale Drehort für Steven Spielbergs „Jurassic Park“ gewesen.

An der Bushaltestelle werde ich von der Schwiegertochter meiner Vermieterin Basita abgeholt, nach Hause gebracht und sofort mit Kaffee, selbst gemachter Limonade und einem Sandwich gestärkt. Nach den Formalitäten fragt mich Basita nach meinen Plänen und innerhalb von Sekunden organisiert sie einen Führer aus dem Bekanntenkreis für eine Wanderung am Nachmittag. Eigentlich wollte ich mich von der fünfstündigen Busfahrt erholen und erst einmal ankommen.

Meine Unterkunft liegt an der Hauptstraße von Viñales, der calle Salvador Cisneros. In den meisten anderen Kleinstädten dieser Welt würde diese Adresse Verkehrslärm und –gestank bedeuten - nicht so auf Kuba. Ein Auto ist hier ein absoluter Luxus und nur ganz wenigen Menschen vorbehalten. Die Leute gehen zu Fuß, benutzen ihr Fahrrad oder Pferd, um ans Ziel zu kommen. Außerdem wimmelt es in der Nachbarschaft nur so von Kindern.

Den Kleinen wird über das Viñales-Tal vorzugsweise folgende Legende erzählt: Vor langer Zeit waren die Mogotes Stützpfeiler einer riesengroßen Höhle. Eines Tages musste jedoch ein Dinosaurier plötzlich so heftig niesen, dass die Höhle zusammenbrach.

Und damit sind die Märchenerzähler nicht sehr weit von der Wahrheit entfernt: In der Jurazeit lag das Gebiet deutlich höher als jetzt. Unterirdische Flüsse wuschen den weichen Kalkstein aus. Es entstanden große Höhlen, die im Laufe der Zeit zum Teil einbrachen, bis auf die härteren Wände, den Mogotes.

Meine erste Wanderung im Viñales-Tal mache ich mit Carlos (Name geändert), einem Medizinstudent, der mich in der Mittagshitze zu einem befreundeten Tabakbauer bringen will, wo ich einen traditionellen Cocktail trinken und Zigarren kaufen könnte. Ich sage ihm zwar, dass ich bei dieser Hitze keine Lust auf Alkohol hätte und auch keine Zigarren kaufen wolle, stoße damit aber auf taube Ohren.

Der Weg dahin führt vorbei an Ananas-, Kartoffel- und Yukafeldern, Mangobäumen, abgeernteten Tabakfeldern und Bananenstauden. „Dieses Jahr haben wir kaum Bananen, da der Hurrikan letztes Jahr die meisten Stauden zerstört hat“, erklärt Carlos. Medienberichten zufolge haben die beiden Wirbelstürme „Gustav“ und „Ike“ 2008 insgesamt über ein Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche ruiniert und Schäden in Milliardenhöhe angerichtet.

Trotzdem müssen die Landwirte laut Carlos weiterhin 90 Prozent ihrer Tabakernte und 60 Prozent der restlichen Ernte zu einem festen Preis an den Staat abgeben. Über den Rest dürfen sie frei verfügen. Sehr beliebt sind die privaten Bauernmärkte, wo die Preise ganz kapitalistisch durch Nachfrage und Angebot bestimmt werden.

Carlos zeigt mir einige Höhlen, deren Kalkgestein sehr weich und porös ist. Dies ist offenbar ein guter Nährboden, denn Bäume haben durch das Gestein hindurch ihre Wurzeln geschlagen und geben zur rostroten Erde einen schönen Farbkontrast ab. Ich kann mich an den Mogotes nicht satt sehen und warte darauf, dass gleich ein paar Dinosaurier auftauchen. Aber weder Dinosaurier noch andere gefährliche Tiere kreuzen unseren Weg, was die Gegend noch attraktiver für Touristen macht.

In der Nähe eines Hauses dringt der Duft von gerösteten Kaffeebohnen in meine Nase - ein Geruch, der in Viñales immer wieder auftaucht, da hier auch Kaffeebohnen wachsen und gedeihen. Über uns drehen Truthahngeier ihre Runden. Ihre hässlichen roten Köpfe und der kräftige Schwung ihrer Flügel faszinieren mich.

Als ich mich zu Hause von meiner dreieinhalbstündigen Wanderung in der Mittagshitze erholen möchte, kündigt mir meine Vermieterin Besuch an. Es ist Salvador (Name geändert), von Beruf Masseur, der mir seine Dienste anbieten möchte. Da ich mir eine Massage auf Sonnenbrand nicht sehr gut vorstellen kann und ich Basitas Tatendrang ein wenig bremsen möchte, lehne ich dankend ab.

Die Menschen im Viñales-Tal sind mir in Havanna als die Ostfriesen Kubas beschrieben worden, sehr freundlich und naiv. „Aber in Wirklichkeit trifft man dort die geschäftstüchtigsten Leute“, so Iban, der als englisch- und türkischsprachiger Führer mehrmals pro Woche Touristen in den Ort begleitet. Offenbar hat er Recht. Ich gebe Basita zu verstehen, dass ich mich von nun an alleine organisieren möchte und gehe ins Zentrum von Viñales- zum Dorfplatz mit einer sehr hübschen, aber baufälligen Kirche im Kolonialstil.

Ganz in der Nähe haben die Reiseveranstalter Havanatur und Cubanacan ihre Büros, in denen Wanderungen zu Fuß oder Pferd, Fahrräder sowie Tagesausflüge zu den Stränden von María la Gorda, der Insel Cayo Levisa oder anderen Orten in der Gegend gebucht werden können. Wanderungen, zu einem etwas günstigeren Preis, bietet auch das Stadtmuseum an.

In Viñales selbst gibt es neben dem Stadtmuseum den privat geführten botanischen Garten „Casa de Caridad“ zu besichtigen, ein kleines Stück Paradies, das die charismatische Carmen nach dem Tod ihrer Schwester Caridad nun alleine hegt und pflegt. Das Nachtleben von Viñales spielt sich vor allem im Centro cultural Polo Montañez ab, gleich neben der Kirche. Fast jeder Abend beginnt dort mit einer Tanzshow und endet mit viel Salsa und Cocktails.

Meine fünf Tage in Viñales vergehen wie im Fluge, obwohl ich eigentlich gar nicht so viel unternommen habe: morgens ein paar Wanderungen oder kleine Radtouren, einen Tagesausflug nach Cayo Levisa und dazwischen ganz viel Siesta.

Am Tag vor meiner Abreise kommt es dann doch noch zu einer kleinen Auseinandersetzung mit meiner Vermieterin. Obwohl ich wusste, dass sie mir 5,00 CUC zu viel pro Übernachtung berechnet hatte, gebe ich ihr zum Schluss kleine Geschenke aus Deutschland und erkläre ihr, dass ich die von ihr vermittelte Unterkunft in Trinidad nicht aufsuchen werde, da ich erfahren habe, dass der allgemeine Übernachtungspreis in den Casas particulares derzeit 5,00 CUC niedriger sei. Zunächst streitet sie dies ab: „Das stimmt nicht, ich nehme keine Provision“. Als ich später beim Abendessen sitze, gibt sie mir den an sie zu viel bezahlten Betrag zurück. „Ich bin ein guter Mensch“, sagt sie und legt dabei ihre Hand aufs Herz. Dies ist wohl der Beginn meiner ganz besonderen Hass-Liebe zu den Kubanern.

© Marlies Moser